frei von allen Selbstanklagen leben

Predigt über Hebräer 9, 15. 26 - 29 
Pfarrer Gerhard Kelber

Karfreitag, 6. April 2012

 

15 Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
26 Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Liebe Gemeinde,

Rosario Rivera war eine südamerikainische Kommunistin und Kampfgefährtin des legendären Che Guevara. Sie hatte viele Streiks angezettelt, viele Menschen umgebracht, war von der Polizei des Landes heftig gesucht. Sie beschreibt ihre Bekehrung:

Ich kam in eine christliche Veranstaltung, bei der ein gewisser Luis Palau predigte. Er sprach über "die fünf Höllen des menschlichen Lebens". Und was geschah? Rosario Rivera, die sich als ein hervorragendes Mitglied der kommunistischen Partei wähnte, stand plötzlich innerlich nackt vor sich selber da. Nicht einmal Che Guevara konnte in das Innere meines Lebens sehen, obwohl ich ihn vier Monate lang begleitete. Aber dieser Mensch da vorne auf der Plattform erzählte mein Leben und holte heraus, was sich in meinem Innersten befand.

Ich biss mir auf die Zunge und stand auf, wusste aber nicht, was tun. Er sagte mir, was ich getan hatte: gestohlen, getötet, Jugend ins Verderben gezogen, mein Heim missbraucht, mit Drogen gehandelt und vieles mehr. Da stand ich nun, völlig entblößt und gleich einem Hund, der sich von allen Seiten bedroht fühlt.

Der Prediger machte einen Aufruf, ich ging ins Aussprachezimmer, aber nicht um mich zu bekehren, sondern voller Haß. Ich versuchte, mich, diesem Herrn Palau zu nähern. Wie gerne hätte ich mein Maschinengewehr dabei gehabt und eine Salve auf ihn abgefeuert! Als ich in das Aussprachezimmer kam, wusste ich nicht, dass hierher all diejeinigen kamen, die ihr Leben dem Herrn Christus geben wollten. Eine etwa 60jährige Frau näherte sich mir und sagte: Liebe Schwester, welch eine Freude ist es für mich, dass Sie Christus annehmen wollen! " - Wozu hatte sie mir das gesagt? In mir stieg ein Zorn auf, als hätte man mich mit Nadeln gestochen. Ich trat einige Schritte zurück und versetzte der Alten einen so gewaltigen Tritt, dass sie rückwärts flog. Aber ein junger Mann stellte sich gerade in die Flugbahn, so dass die alte Frau an seinem Körper zum Stillstand kam. Dies erhöhte meinen Zorn nur noch, denn ich hätte sie zu gern am Boden gesehen.

Ich rannte davon in mein Haus. Mein Haus war nur eine schlichte Hütte ohne Fußboden, mit Stoffwänden und Eternitdach. Da versuchte ich mich, vor Gott zu verstecken. In jener Nacht hat sich Gott meiner erbarmt.

Er zeigte mir, wie schmutzig ich war: vorher war ich es in meinen Augen nicht. Das Wort "Sünde" existierte nicht in meinem Wortschatz - und im Kommunismus gibt es weder Moral noch Unmoral. Alles, was der Partei dient, ist gut, auch wenn man zum Erreichen des Zieles einen Menschen töten muss. Der Zweck heiligt die Mittel, das ist die Ethik des Kommunismus.

Ich schlief an jenem Abend ein. ich träumte. Im Traum sah ich auf einmal eine geöffnete Bibel, und rechts oben die Worte: "Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht. Und wieder sah ich die geöffnete Bibel und las: "Verflucht ist jeder, der sich auf Menschen verlässt und sein Heil im Vergänglichen sucht, sein Herz aber von dem Herrn abwendet. ...Gesegnet aber ist jeder, der sich auf den Herrn verlässt und alle Hoffnung auf ihn setzt!

Wieder ganz wach, versuchte ich, meine Gedanken in andere Richtung zu lenken, indem ich mir Che Guevara ins Gedächtnis zurückrief. Ich sah ihn vor mir, mittelgroß, kastanienbraunes Haar, graue Augen, weiße Haut - imponierend, bestimmt, wie er vor uns hintrat und des öfteren sagte: Männer und Frauen, seid ehrlich, seid echt, seid treu. Besonders blieb mir das Wort "Ehrlich" hängen. Ich sagte zu mir selbst: "Ja, ich will ehrlich sein!"

Wo konnte ich nur das Buch finden? War es Realität, was ich im Traum gesehen hatte? Stand es in der Bibel?

Ich hatte einige Wochen zuvor zum Tag der Heiligen Rosario von einem Bekannten eine Bibel geschenkt bekommen. Ich hatte sie nie geöffnet. Nun holte ich sie von ihrem schmutzigen Ort am Boden, und begann, darin herumzublättern. Plötzlich fiel mein Blick auf Matthäus 4,4: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein..."

Ich konnte es nicht glauben, dass es dasselbe Wort war, das ich im Traum gesehen hatte. Ich legte meine Bibel hin, ging zum Wasserhahn, um mir Augen und Gesicht zu waschen, ich wollte sicher sein, dass ich nicht mehr träumte. Dann las ich den Vers noch einmal.

Das Wort hatte seine Wirkung. Ich begann zu zittern, die Bibel fiel zu Boden, und die physischen Kräfte verließen mich. Schon begann ich zu taumeln, wehrte mich aber heftig gegen das Zu-Boden-Fallen und ließ mich auf die Knie nieder. Der Kopf war schwer wie Blei, so dass er in den Staub niedersank. Tränen begannen zu fließen, und in diesem Augenblick sah ich mein Leben wie einen Film vor mir ablaufen. Ich sah alle meinen Sünden, die ich begangen hatte, und schämte mich vor mir selbst. All die schmutzigen Aktionen und Wege hatten mir in meiner Zeit als militante Kommunistin gut geschienen.

Und jetzt?

Voller Verzweiflung rief ich in den Raum: "Was soll ich tun?"

Da schien ein helles, unwiderstehliches Licht aus großer Höhe zu mir herab, darin stand der Herr Jesus mit seinen Nägelmalen an seinen Füßen, und eine weiche Stimme sagte: "Rosario, das tat ich für dich!"

Dies wiederholte sich dreimal, und ich bekam immer mehr vom Leib des Herrn zu sehen. Die Erscheinung näherte sich mir bis auf etwa drei Meter. Dann streckte mir Jesus seine Hand entgegen. Anfangs wollte ich sie jedoch nicht ergreifen, weil ich so viel Blut vergossen hatte. Da kam er zu mir hin und ich verspürte so etwas wie eine elektrische Entladung über meinem Kopf. Hier verlor ich jedes Bewusstsein.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, erfüllte mich eine derartige Freude, dass ich ungehemmt zu lachen und zu springen begann. Aller Hass war verschwunden. Ich hatte eine solche Liebe, dass ich am liebsten allen Leuten, die an meiner Hütte vorüberkamen, um den Hals gefallen wäre, um ihnen mein Erlebnis zu erzählen.

II. (das Erbe empfangen)

Das ist es, was Gott im Tiefsten will. Menschen von ihrer Sündenlast befreien, und zwar nachhaltig, Menschen in die Freiheit führen, so dass sie Lust bekommen, andere in die Freiheit zu führen.

Kürzlich führte ich ein Traugespräch von besonderer Art. Der Bräutigam hieß Sebastian und ist ziemlich powerig drauf. Sebastian schlug für den Fürbittenteil vor: "Mensch, wie wäre es, wenn wir beiden als frisch Gesegnete, voll Aufgepowerte, für all die Menschen beten würden, die ihren jahrelangen Ehefrust mitgebracht haben und die ihn nie losgeworden sind? Wie wäre das? Wenn wir sie volle Kanne segnen würden, so dass sie richtig raus wären aus ihrem Frust? So etwas habe ich noch nie ein Bräutigam äußern hören…..

Liebe Freunde, das ist es, was Gott im Tiefsten will. Hebräer 9 hört sich das so an:

….dass die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.

Es ist uns ein Erbe verheißen. Wir sind Erben. Wisst ihr, was das bedeutet? Erbe sein?

Das macht etwas mit uns! Wenn ich ein Erbe bekomme, dann werde ich in alle Rechte des Erblassers eingesetzt. Dann kriege ich alles, was der Erblasser mir vermacht. Und dieser Erblasser ist der König aller Könige und Herr aller Herren! Und der Erbfall, der hier eintritt, hat ihn das Leben seines Sohnes gekostet. Er hat diesen Preis bezahlt, damit ich dieses Erbe antreten kann! Damit mir so zumute sein kann wie Rosario Rivera nach ihrem Aufwachen! Halleluja, das macht etwas mit mir! Das ist gewaltig

Mein Erbe, das Gott mir zugedacht hat, ist dieses: Ich darf frei sein. Ich darf alle diese Fesseln und Zwänge hinter mir lassen! Ich muss nicht mehr ein Sklave meiner Triebe sein! Das ist es, was der lebendige Gott mir zugedacht hat.

Dafür ist Jesus ans Kreuz gegangen, hat sich annageln lassen, damit ich nicht mehr vernagelt sein muss, sondern frei von allen Selbstanklagen leben darf! Halleluja.

Dafür hat er Spott und Hohn ausgehalten, damit meine Selbstbezichtigungen endlich schweigen müssen.

An Karfreitag ist ein Trauertag. Aber wie das bei echten irdischen Trauertagen auch vorkommt, gibt es an diesem Trauertag etwas zu erben! Der Erblasser ist der König der Könige und Herr aller Herren Und das Erbe ist das gewaltigste, was es auf dieser Erde geben kann…

Das Gefängnis, in dem Rosario Rivera sich aufgehalten hat, dieser Dschungel aus Bosheit, Hass, Tötungsbereitschaft und Gewalt, dieses Gefängnis hat Jesus Christus aufgebrochen und hat an diesen Menschen in Freiheit gesetzt und ihm ein Erbe gegeben, wie es großartiger nicht sein kann. Rosario kümmert sich heute um die Armen, aber gibt ihnen keine Waffen mehr, sondern erzählt ihnen von der Liebe Gottes. Sie teilt aus! Sie teilt das Kostbarste aus, was es auf dieser Welt gibt. Wie sagt der Hebräerbrief das? ….dass die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.

Rosario hat nicht nur empfangen, sie hat auch ausgeteilt!

III. (das eine Opfer)

Sehen wir noch einmal näher hin: Hebräer 9: Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen

Wir kriegen mit letzten Dingen zu tun. Wir sind nur einen Herzschlag weit von der Ewigkeit entfernt. Kürzlich starb einer lieben Mitarbeiterin der Ehemann ganz plötzlich. Wir waren alle vor den Kopf geschlagen. Gerade noch hat er gelebt, war da, hat geatmet, war vergnügt. Und dann plötzlich liegt er am Boden, leblos, der Notarzt kann nur den Tod feststellen…. Wir waren alle geschockt, wie betäubt. So schnell kann es gehen!

Wir kriegen am Karfreitag mit den letzten Dingen zu tun. Plötzlich stehen Fragen auf,die keiner mehr abweisen kann: Warum habe ich nicht mehr Liebe gegeben? Warum war ich so verschlossen? Wenn ich gewusst hätte, dass es so kommt, ja dann… Aber dieses "Dann" gibt es eben nicht mehr!

Jesus geht mit den letzten Dingen um. Ein Leben lang. Und am Ende bringt er sein Leben zum Opfer. Er ist kein Objekt, er ist Subjekt: Jesus opfert sich für die Seinen. Sein Tod ist nicht so ein katastrophales Aus wie der eben angedeutete Todesfall. Er ist der konsequente Schlusspunkt auf ein einzigartiges Leben.

Ich habe vor einigen Tagen Mel Gibsons Film "Das Leiden Christi" gesehen. Das Großartige daran war, dass er immer wieder Rückblenden hat, wo Jesus schon während seiner Erdenzeit immer wieder gesagt hat: "Es wird so kommen, dass ich sterbe!". Jesu Leben und sein Sterben sind eine Einheit. Sie werden zusammengefasst von dem gewaltigen göttlichen liebenden Wollen: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden.

Aus Liebe hat Gott seinen Sohn geopfert. Aus Liebe hat er sein Leben ausbluten lassen. Aus Liebe hat er sich gefangen nehmen und schließlich ans Kreuz nageln lassen…. Aus keinem anderen Grund als dem, dass wir das Erbe empfangen sollen. Auch das tut er aus Liebe zu uns. Und

IV. (Das zweite Kommen Jesu)

Wir kriegen mit letzten Dingen zu tun, wenn wir das Sterben Jesu bedenken. Wir kriegen mit unserer Schuld zu tun - Jesus opfert sich für sie. Wir kriegen mit unserer Endlichkeit zu tun - Jesus ist auch dann da, wenn wir sterben. Wir kriegen damit zu tun, dass wir irgendwann gefragt werden: Was hast du mit deinem Leben gemacht? Jesus wird dabei sein, wenn du und ich gefragt werden. Der Hebräerbrief bringt es auf den Punkt: Zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Jesus wird ganz bestimmt wieder kommen. Die Christenheit erwartet das. Und derselbe Jesus, der sein Leben unter grässlichsten Marten für dich und mich ausgehaucht hat, dieser Jesus wird wieder kommen und der wird dich und mich fragen: Was hast du mit dem gemacht, was ich für dich getan habe? Hast du mir deine Sünden gebracht? Oder hast du das gemacht, was alle Welt tut, nämlich gemeint "Sünden - was ist denn das?" Oder: "Damit muss ich alleine fertig werden, mir hilft ja doch keiner!"

Jesus wird noch mehr fragen: Hast du mit mir gerechnet? Hast du meine Verheißungen ernst genommen? Hast du dein Erbe angetreten? Oder hast du dich aufgeführt wie ein beraubtes Kind? Eine ganze Menschheit macht uns das heute vor.

Rosario Rivera hat das Erbe angetreten. Die Liebe Gottes ist bei ihr nicht in eine Sackgasse geraten, sondern sie wurde gewaltig vermehrt. Darauf kommt Gott es an.

Du hast ein Erbe. Vermehre es. Du hast Versöhnung. Nimm sie an und gib sie weiter. Und du hast Anschluss an das unerschöpfliche Kraftreservoir Gottes. Mach Gebrauch davon. Amen.